Viele unscheinbare Pflanzen am Wegrand, die heute als Unkraut verteufelt werden, galten früher als wichtige Heilkräuter und waren ein wesentlicher Bestandteil der Ernährung. Innerhalb kürzester Zeit ging dieses Wissen jedoch fast verloren. Wie schön, dass sich heute wieder umso mehr Menschen für die vielseitigen Wildkräuter begeistern. Eine der besten Möglichkeiten die wilde Pflanzenwelt vor der Haustüre kennen zu lernen bieten Kräuterwanderungen. Alte Bekannte wie Brennnessel und Löwenzahn aber auch märchenhafte Unbekannte wie die Gundelrebe warten dort darauf entdeckt zu werden. Komm mit und begleite uns hier auf eine Kräuterwanderung der etwas anderen Art!
Gänseblümchen
Frühmorgens machen wir uns, bepackt mit einem Sammelkorb, auf den Weg und verlassen bald Straßen und übliche Trampelpfade. Wir wollen dahin wo die Natur unberührt ist, da hin wo wir bedenkenlos und ungeachtet von Verschmutzungen, Abgasen und Hundehinterlassenschaften wilde Kräuter sammeln können. Ein zarter Nebelschleier liegt noch über den Feldern, der Morgentau glitzert mit den ersten Sonnenstrahlen um die Wette. Und mit der aufgehenden Sonne öffnen sich die feinen Blüten des Gänseblümchens. Es verrät uns, dass heute ein schöner Tag wird. Würden die Blüten geschlossen bleiben, wäre das ein Hinweis, dass schlechtes Wetter kommt. Aber heute strahlt uns das Gänseblümchen freundlich entgegen und wir verstehen beim Betrachten sofort, woher es seinen botanischen Namen „Bellis perennis“ hat. Übersetzt bedeutet das „schön durch's ganze Jahr“. Und ja, schön und zauberhaft ist es wirklich und auch das ganze Jahr über zu finden. Selbst unter der Schneedecke und bereits ganz zeitig im Frühjahr kann man das eine oder andere Gänseblümchen entdecken. Ein paar der Vitamin C reichen Blüten zupfen wir behutsam ab und verstauen sie im Sammelkorb. Später verzieren sie als essbare Dekoration unsere gemeinsame Wildkräuterjause.
Frauenmantel
Die Sonne steht bereits höher und der Morgentau und die letzte Müdigkeit sind nun ganz verflogen. Gemütlich schlendern wir weiter und entdecken doch noch einen letzten Rest Tau glitzernd in einem großen, runden Blatt. Doch halt, das ist gar kein Morgentau sondern ein Wassertropfen, den der Frauenmantel, den wir plötzlich vor unseren Füßen entdecken, ganz von selbst aus seinen Blättern presst. Zu Beginn sitzen die kleinen Tropfen am Blattrand und sehen dabei aus wie eine schimmernde Perlenkette. Später läuft das Wasser in der Blattmitte zusammen und bildet einen großen Tropfen.
Früher vermuteten Alchemisten dahinter einen Elixier für ewige Schönheit und Jugend, was dem Frauenmantel den botanischen Namen Alchemilla vulgaris bescherte. Wie beim Gänseblümchen stellen wir fest, dass die Pflanzennamen oft sehr viel Aufschlussreiches über Pflanzen erzählen können. Ein bisschen Magie darf bei unserer Kräuterwanderung nicht fehlen und wir tunken ganz sachte einen Finger in das Frauenmantel Wasser um damit übers Gesicht zu streichen. Wir erfahren, dass der Frauenmantel ein altes Frauenheilkraut ist und der Tee bei Zyklusproblemen und bei Wechseljahrbeschwerden Linderung verschaffen kann. Mit dem Gesichtswasser aus der Natur spazieren wir erfrischt weiter. Im Kopf haben wir noch das Bild der wunderschönen und ein bisschen magischen Frauenmantel Blätter.
Gundelrebe
Wir streifen durch Wald und Wiese hinein in den sonnigen Nachmittag. Die Sonne steht hoch und wir freuen uns über den angenehm kühlen Schatten am Waldrand. Hier entdecken wir auch schon die nächste Pflanze, die wir etwas genauer unter die Lupe nehmen wollen: die Gundelrebe. Sie ist ein unscheinbares aber sehr würziges Pflänzchen, das sich an kühlen und schattigen Standorten am wohlsten fühlt. Ihre Triebe können bis zu einem Meter lang werden und, ähnlich wie Efeu, Hausmauern und Baumstämme erklimmen. Doch am liebsten wächst sie am Boden, was der umgangssprachliche Name „Erdefeu“ beweist. Sobald sich dann im April die blass violetten Blüten der Gundelrebe bilden, verlässt sie für kurze Zeit den Boden, wächst Richtung Himmel und steht kerzengerade da. Wenn sie verblüht legt sie sich wieder auf den Boden und kriecht munter weiter.
Ihre langen Triebe wurden früher zum Binden von Kränze genutzt. Mit diesen tanzte man in der Walpurgisnacht in den Mai und erhoffte sich dadurch echte Hexen zu erkennen. Für eine Kostprobe reicht ein kleines Blättchen. Der intensive Geschmack kommt uns bereits nach ein paar Bissen sehr vertraut vor. Als eine Mischung aus Thymian und Minze könnte man ihn bezeichnen. Mit beiden ist die Gundelrebe nahe verwandt und wie viele Pflanzen aus der Familie der Lippenblütler macht auch sie sich hervorragend in der Küche. Ein Geheimtipp für Naschkatzen ist das Wiesen-Aftereight. Auch für Kräutersalz, Kräuterlimonaden, Oximel und Kräuterbutter eignet sie sich perfekt. Die Volksmedizin nutzt sie seit jeher bei Erkältungen, Magenproblemen und zur Entgiftung. Ein paar Triebe mitsamt Blättern und Blüten schneiden wir mit der Schere ab und legen sie zum Gänseblümchen in den Korb.
Schafgarbe
Während wir uns auf einer sonnigen Wiese unter einem Baum niederlassen, entdecken wir die heilkräftige Schafgarbe. Sie schmückt Wiesen und Weiden mit ihren zarten, weißen Blüten und zählt zu den Sonnenkräutern die man am besten an warmen Sommertagen sammelt. Bereits beim Reiben der Blätter und Blüten läuft uns das Wasser im Mund zusammen. In der Schafgarbe stecken aromatische Inhaltsstoffe, die sie zu einem ganz besonders schmackhaften Würzkraut machen. Ihre Stängel sind relativ gerade und verholzen schnell. Sie eignen sich hervorragend zum Aufspießen von Gemüse und Co. und damit als Grillspieße aus der Natur, denn Wildkräuter bringen Würze in jede Grillparty.
Aber die Schafgarbe schmeckt nicht nur gut, sondern tut auch gut. Leichte Magenkrämpfe und Blähungen sind ihre Einsatzgebiete, weshalb sie auch als Bauchwehkraut bezeichnet wird. Beim genaueren Betrachten fällt uns auf, dass ihre Blätter Federn ähneln. Sie bestehen aus einem deutlichem Mittelnerv und unzähligen filigranen Einzelblättern. In Kräuterbüchern entdeckt man bei der Schafgarbe oft den Namen „Augenbraue der Venus“, was eben genau von dieser Blattform herrührt. Das wird natürlich sogleich getestet und ein Blatt über eine Augenbraue gehalten. Treffer. Die Blätter sehen also wirklich aus wie Augenbrauen. Der Bezug zur Venus, verrät uns übrigens, dass die Schafgarbe eine wichtige Frauenpflanze ist. Erfreut, dass auch die Schafgarbe unsere Wildkräuterjause bereichern wird, schneiden wir mit der Schere ein paar Triebe direkt über dem Boden ab und ziehen Blätter und Blüten von dem Stängel. Gemeinsame mit Gundelrebe wird das gesamte Sammelgut kleingeschnitten und in eine Topfen-Rahmmasse und unter einen Hummus gerührt. Etwas Salz und Pfeffer und ein Schuss Zitronensaft verfeinern unsere wilden Aufstriche, die wir mit einer Scheibe Brot und verziert mit Gänseblümchen ganz genüsslich verkosten.
Beim gemeinsamen Essen sind nun auch die letzten Zweifel verschwunden und alle restlos von den wilden Schätzen begeistert. Denn nicht nur die Geschichten, Inhaltsstoffe und Wirkweisen bringen uns die Welt der Wildkräuter näher. Letztendlich müssen wir sie angreifen, fühlen und schmecken. Und oft ist es gerade der neuartige und wunderbare Geschmack der in Erinnerung bleibt und Lust auf mehr macht.
Hinweis: Um Verwechslungen mit Giftpflanzen auszuschließen, bitte nur sammeln was man kennt und eindeutig bestimmen kann.
Danke an Valerie von Blatt & Dorn für die tollen Kräutertipps!